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Baumexperte zum Sturm-Chaos: "60% der Bäume waren vorgeschädigt" / Seine Tipps für Grundstückseigentümer

Interview
  • Erstellt: 23.08.2023 / 10:01 Uhr von cg1
Auch eine Woche nach dem heftigen Unwetter sind die Spuren des Sturms in der Stadt noch an vielen Stellen sichtbar. Gerade die massiven umgestürzten Bäume sorgen dabei für Blicke des Entsetzens und für die Frage: Wie konnte das eigentlich passieren? Meetingpoint sprach dazu mit Manuel Schmidt, er ist Chef der Baum Schmidt GmbH aus Groß Kreutz (Havel) und erklärt als Experte, ob ihn die massiven Schäden überrascht haben, warum eigentlich Bäume umstürzen die regelmäßig begutachtet werden und was private Grundstückseigemtümer unbedingt beachten sollten.
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Meetingpoint: Der Sturm vom 15. zum 16. August 2023 fegte mit enormer Wucht über die Stadt Brandenburg, hinterlassen hat er dabei viel Chaos. Verwundert Sie die Vielzahl von Schäden an den Bäumen?
Manuel Schmidt: Am Morgen des 16. August bot sich in Teilen Brandenburgs ein Bild der Verwüstung. Die Schäden waren enorm. Der Weg zu unserem ersten Einsatzort war durch umgestürzte Bäume sehr schwer zu erreichen. Sicher bin ich verwundert und zugleich erschrocken über die Ausmaße der Schäden. Wir werden immer häufiger mit extremen Unwettersituationen konfrontiert. Ein erheblicher Teil der Sachschäden ist faktisch nun einmal durch Bäume entstanden. Hier gilt es die Situation sachlich auszuwerten um in Zukunft präventiv handeln zu können.

2. Die Stadt Brandenburg lässt ihre Bäume regelmäßig von Experten prüfen, warum stürzen dennoch so viele Exemplare um oder brechen auseinander?
Es wirken bei Stürmen extreme Zug- und Druckkräfte. Durch eine Überbelastung der Holzfasern brechen Ast- oder Kronenteile heraus oder Bäume entwurzeln. In Brandenburg waren selbst vitale Stieleichen zu sehen, welche einfach in der Mitte des Baumes durchgebrochen sind. Das sind Sachlagen, welche immer wieder einmal vorkommen.
Bei der Sichtung der Sturmbrüche, und direkt bei der Beseitigung dieser, ist uns drastisch aufgefallen, dass viele Bäume vorgeschädigt waren. In der Baumkontrolle achten wir auf bestimmte Schadmerkmale an den Bäumen. Sind z.B. Pilzfruchtkörper, Höhlungen, Ausflüsse, Faulstellen u.a. erkennbar.
Das sind Indizien, dass der betroffene Baum direkt unter die Lupe genommen werden muss und Schlussfolgerungen daraus gezogen werden müssen in Bezug der Verkehrssicherheit. In ca. 60 % der beseitigten Bäume konnten wir drastische Schädigungen feststellen, welche zu oft als Sollbruchstelle dienen.
Bei großen Baumbeständen wie der Stadt Brandenburg ist das keine einfach zu bewältigende Aufgabe. Diese muss organisiert, finanziert und gewissenhaft durchgeführt werden.

Selbst die erfahrensten Fachkräfte brauchen einen vernünftigen zeitlichen Rahmen um wirkungsvoll ihren Auftrag zu erledigen.
Wenn wir uns dann bei Ausschreibungen im Preissegmenten im unteren einstelligen Eurobereich pro Baum befinden, stellt sich die Frage der Ausführbarkeit für die Fachbetriebe. Dann wundert es nicht, wenn die Baumkontrollen zum Teil leidenschaftslos aus dem Auto heraus oder im Eiltempo durchgeführt werden um seine Tagesleistung zu erfüllen. Das soll nicht pauschalisieren, ist aber viel zu oft gängige Praxis. Gerade bei alten Bäumen ist ein genaues Hinschauen notwendig.

Im Endeffekt muss es eine politische und soziale Lösung für das Thema Baum geben. In Kooperation mit Auftraggebern und den Betrieben. Es hilft nur Gespräche zu führen und aktiv Lösungen zu erarbeiten um Missstände zu beseitigen. Aus dem oft unbeachteten Begleitgrün Baum muss ein soziales Bewusstsein entstehen.

3. Was empfehlen Sie privaten Grundstückseigentümern? Wie können diese die Standsicherheit ihrer Bäume beurteilen?
Jeder Grundstückseigentümer ist für die Verkehrssicherheit seiner Bäume verantwortlich. Wenn diese an öffentlich genutzten Stellen angrenzen, ist eine regelmäßige Kontrolle dieser Bäume gesetzlich vorgeschrieben. Laut Vorschrift ist eine fachkundige Inaugenscheinnahme notwendig. Wenden Sie sich an einen regionalen Baumdienst, welcher zertifizierte Baumkontrollen durchführt. Dieser dokumentiert ihnen die Kontrollen. Im Schadensfall sind sie auf der sicheren Seite. Wir erleben immer wieder, dass Versicherungen nicht greifen, weil die Auswirkungen hätten im Vorfeld verhindert werden können.

4. Wie geht ein Baumexperte / Gutachter eigentlich genau vor um den Baumzustand bewerten zu können und wie müssen Eigentümer auf Schwächesymptome reagieren?
Eine Kontrolle findet direkt durch Inaugenscheinnahme der betroffenen Bäume statt. Es wird der Baum nach bestimmten Kriterien am Stammfuß, dem Stamm und der Baumkrone untersucht, welche Aufschluss zur Vitalität und Schadmerkmalen geben. Dazu gehören Merkmale, wie z.B. Pilzfruchtkörper, gerissene Äste, Höhlungen, Faulstellen, das Baumumfeld uvm. Wir malen nicht den Teufel an die Wand, sondern wollen die Bäume so lange wie möglich verkehrssicher und gesund erhalten. Bestehen Zweifel an der Stand- oder Bruchsicherheit können eingehende Untersuchungen durchgeführt werden. Zum Beispiel der Einsatz eines Sondierstabes, Klopfproben, Befahrung mit einer Hebebühne oder Seilklettertechnik, Bohrwiederstandsmessungen usw. Hier gilt es verhältnismäßig zu handeln um nicht Unnütz das Geld der Kunden zu verbrennen.
Im Anschluss der Kontrollen werden geeignete Maßnahmen für die Baumpflege oder Beseitigung des Baumes festgelegt. Daraus resultieren die Maßnahmen zur Herstellung der Verkehrssicherheit. Die Baumkontrollen werden rechtssicher dokumentiert und erledigt ist das Thema. Welche empfohlenen Maßnahmen der Auftraggeber durchführen lässt, liegt dann in dessen Ermessen und Verantwortung. Fakt ist, es ist kein Thema für eine leichte Schulter.

5. Wie lautet rückblickend Ihr Fazit zur Sturm-Nacht?
Wir wünschen den Entscheidungsträgern und Bewohnern der Stadt Brandenburg viel Mut und Kraft, um die Unglückssituation zu meistern. Wir hoffen, dass es in Zukunft neue Dialoge und einen regen Austausch zum Komplex Baum geben wird.

Weiter muss ich sagen: Es ist erstaunlich wie die Menschen in der Stadt Brandenburg zusammenhalten, wenn es die Situation erfordert. Hand in Hand mit Rettungskräften, Firmen und den Anwohnern der Stadt durch eine Ausnahmesituation. Das verdient Lob und Anerkennung. Auch wenn die Sachschäden enorm sind, ist es schön das niemand sein Leben verlieren musste.

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